Preisträger 2019/2020

Emma Braslavsky

Jurybegründung:

Der Roman „Die Nacht war bleich, die Lichter blinkten“ ist in der näheren Zukunft angesiedelt; aus der KI-Forschung hat sich einer der wichtigsten und einschneidendsten Wirtschaftszweige entwickelt – und die Hubot-Industrie boomt: Zwar stellen profitable KI-Unternehmen vom Menschen kaum mehr zu unterscheidende künstliche Existenzen her, die jede Art von Beziehungswunsch erfüllbar werden lassen. Doch die uneingeschränkte Glückseinlösung, das Versprechen, menschliche Einsamkeit Geschichte werden zu lassen, verkehrt sich letztlich ins Gegenteil: Empathie und Geborgenheit sind über perfektionierte Recheneinheiten, über selbst lernende Systeme in letzter Instanz nicht zu bekommen. Diese KI-Existenzen sollen zwar dem Wohle der Menschheit dienen, führen jedoch in der Konsequenz zu einer exorbitanten Häufung von Selbsttötungen unter den Menschen. Nicht so sehr die Suizide werden dabei als Problem gesehen, sondern vielmehr die damit für die Allgemeinheit verbunden Kosten, denn häufig lassen sich Angehörige nicht ermitteln.
So kommt „Roberta“ auf den Markt. Sie soll als Pilot-Sonderermittlerin für die Polizei Angehörige der SuizidantInnen ausfindig machen, um dem Sozialamt die Bestattungskosten zu ersparen. Mit sprachlichem Witz und einem Gespür für tragikomische Situationen, mit soziologisch-feministischem Blick und in dystopischer Nah- und Weitsicht beschreibt Emma Braslavsky eine kollabierende Gesellschaft, die sich unter dem Deckmantel vollkommener Bedürfnisbefriedigung kafkaesk zu Grunde bürokratisiert. Braslavsky stellt in künstlicher Verfremdung des Alltäglichen große philosophische Fragen nach dem, was unser Leben ausmacht: Menschliche Echo- und Hallräume, getragen von wechselseitigen Beziehungen und Resonanzen.
Braslavsky hat für ihren Roman über längere Zeit in KI-Forschungsinstituten recherchiert; ihre literarischen Figuren nehmen uns mit in einen Film noir, leuchten die Macht des Möglichen ebenso aus wie ihre bleichen Kehrseiten, so dass wir uns leicht schwindelnd fragen, mit wem wir uns in der Lektüre zunehmend identifizieren. Etwa mit einer Recheneinheit?